Die "Mitgliederversammlung 2.0"

Patrick R. Nessler - Rechtsanwalt


Nach der gesetzlichen Regelung des § 32 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) werden die Angelegenheiten des Vereins, soweit sie nicht nach der Satzung oder dem Gesetz von dem Vorstand oder einem anderen Vereinsorgan zu besorgen sind, durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet. Darunter verstand man bisher, dass sich die Mitglieder an einem Ort versammelten. Ein Verein hatte nun in seine Satzung folgenden Passus aufgenommen:

"Die Mitgliederversammlung erfolgt entweder real oder virtuell (Onlineverfahren) in einem nur für Mitglieder mit ihren Legitimationsdaten und einem gesonderten Zugangswort zugänglichen Chat-Raum.

Im Onlineverfahren wird das jeweils nur für die aktuelle Versammlung gültige Zugangswort mit einer gesonderten Email unmittelbar vor der Versammlung, maximal 3 Stunden davor, bekannt gegeben. "

Wegen des oben aufgeführten Grundsatzes, dass die Mitglieder persönlich und körperlich bei der Versammlung anwesend sein müssen, hatte das Amtsgericht Iserlohn die Eintragung dieser Satzungsregelung verweigert. Als Begründung gab es an, dass auch wenn ein spezieller Chat-Raum verwendet werde, die Gefahr bestünde, dass sich eine fremde Person Zugang verschaffe und sich als Mitglied ausgäbe. Des Weiteren könne auch nicht festgestellt werden, ob die anwesenden Mitglieder geschäftsfähig seien.

Der Verein ist gegen diese Entscheidung des Amtsgerichts vorgegangen. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat entgegen dem Amtsgericht diesen Passus für rechtens erklärt und die Eintragung ins Vereinsregister angeordnet (Beschl. v. 27.09.2011, Az. 27 W 106/11). Das OLG verwies auf § 40 BGB, wonach in der Satzung eine von § 32 BGB abweichende Regelung getroffen werden könne. Nach der herrschenden Auffassung in der Literatur seien grundsätzlich auch virtuelle Mitgliederversammlung zulässig.

Das OLG schloss sich dieser Auffassung mit dem Hinweis an, dass auch nach dem neu gefassten § 118 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Aktiengesetz (AktG) Aktionäre ohne Anwesenheit am Ort der Hauptversammlung im Wege elektronischer Form ihre Rechte wahrnehmen und ihre Stimme abgegeben können. Des Weiteren bestimme § 43 Abs. 7 GenG, dass Beschlüsse - sofern die Satzung dies vorsieht - auch in elektronischer Form gefasst werden können.

Gegen die Zulässigkeit spreche auch nicht, dass im Falle einer Onlineversammlung die Geschäftsfähigkeit der Mitglieder nicht eindeutig festgestellt werden könne. Soweit es keine entgegenstehenden Anhaltspunkte gäbe, könne der Versammlungsleiter von der Geschäftsfähigkeit der Vereinsmitglieder ausgehen. Auch im Falle einer schriftlichen Zustimmung eines Mitglieds zu einem Beschluss nach § 32 Abs. 2 BGB habe der Versammlungsleiter keinen persönlichen Eindruck vom Vereinsmitglied.

Die konkrete Ausgestaltung sei im vorliegenden Fall ebenfalls wirksam. Denn die Satzung sehe vor, dass die Mitgliederversammlung in einem nur für Mitglieder mit ihren Legitimationsdaten und einem gesonderten Zugangswort zugänglichen Chat-Raum durchgeführt werde. Das nur für die aktuelle Versammlung gültige Zugangswort würde erst mit einer gesonderten E-Mail unmittelbar vor der Versammlung bekannt gegeben. Allen Mitgliedern würde die Verpflichtung auferlegt, ihre Legitimationsdaten und das Zugangswort keinem Dritten zugänglich zu machen und unter strengem Verschluss zu halten. Durch die Zugangs-beschränkungen mittels Passwort würde gewährleistet, dass nur Vereinsmitglieder an der Versammlung teilnähmen.

Es läge auch keine unangemessene Benachteiligung der Vereinsmitglieder vor, die über keinen eigenen Computer verfügen. Ein Verein müsse nicht einem beliebigen Personenkreis offen stehen. Er müsse daher auch nicht Kommunikation auf jede erdenkliche Weise anbieten (vgl. Fleck DNotZ 2008, 245, 251). Darüber hinaus gäbe es auch öffentliche Internet-zugänge, auf die die Vereinsmitglieder zumutbar zurückgreifen könnten.

Damit ist gerade für Verein, deren Mitglieder sich über große Flächen verteilen, eine kosten-günstige Möglichkeit gegeben, schnelle Entscheidungen durch die Mitgliederversammlung herbeizuführen. Dies kommt nach meiner Auffassung gerade für außerordentliche Versammlungen in Betracht.


Veröffentlicht in:

Haus und Garten, Verbandszeitschrift der Siedler, Eigenheimer und Gärtner, Ausgabe Nr. 5 Mai 2012, Seite 109
BZVS News, Verbandszeitschrift des Bundes für Zupf- und Volksmusik Saar e. V., Ausgabe 31 - Mai 2012, S. 21
Sport im Betrieb, Verbandszeitschrift des Westdeutschen Betriebssportverbandes e. V., Ausgabe Juni 2012, S. 30


*) Rechtsanwalt Patrick R. Nessler ist Inhaber der RKPN.de-Rechtsanwaltskanzlei Patrick R. Nessler, St. Ingbert. Er ist tätig auf den Gebieten des Vereins-, Verbands- und Stiftungsrechts, des Gemeinnützigkeitsrechts sowie des Kleingartenrechts. Außerdem unterrichtet er als Rechtsdozent an verschiedenen Bildungseinrichtungen, insbesondere der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement, und für eine ganze Reihe von Organisationen.

Rechtsanwalt Nessler ist Justiziar des Landessportverbandes für das Saarland und ehrenamtlich tätig in verschiedenen Gremien des Deutschen Betriebssportverbandes. Seit 2004 ist er bereits dessen Generalsekretär. Darüber hinaus ist er der Fach-Experte für Rechtsfragen bei der Landesarbeitsgemeinschaft Pro Ehrenamt, Mitglied der Arbeitsgruppe Recht des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde und Verbandsanwalt des Landesverbandes Saarland der Kleingärtner, Mitglied der Kommission „Finanzen“ des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V., Mitglied des Ausschusses „Recht und Satzung“ des Landessportverbandes Berlin e.V. u.a.

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