Die Mitgliederversammlung und das Coronavirus

Oder: Muss die Versammlung durchgeführt werden?

Inhaltlich überholt durch neues Gesetz

Die Ausführungen in diesem Beitrag sind (vorerst) überholt durch § 5 Abs. 2 des am 25.03.2020 vom Bundestag beschlossenen Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, gegen das der Bundesrat in seiner Sondersitzung vom 27.03.2020 keinen Einspruch eingelegt hat.

Lesen Sie zur neuen Rechtslage bitte den neuen Beitrag "Neues Gesetz zur Mitgliederversammlung".

Patrick R. Nessler - Rechtsanwalt


Inzwischen hat das Coronavirus auch den Vereins- und Verbandsalltag fest im Griff. In vielen Vereinen und Verbänden stehen am Anfang des Jahres die Mitgliederversammlungen an. In diesen Fällen stellt sich derzeit die Frage, ob die Mitgliederversammlung überhaupt durchgeführt werden kann, darf oder muss. Der Begriff der Versammlung beinhaltet nämlich bereits nach seinem Wortsinn die Anwesenheit der Mitglieder am Ort der Versammlung (OLG Hamm, Urt. v. 20.06.2001, Az. 8 U 77/01) und damit besteht ein Infektionsrisiko für alle Teilnehmer.

Seit dem 16.03.2020 gilt zum Beispiel in Berlin die „Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin“. Nach deren § 1 Abs. 1 dürfen öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen und Ansammlungen mit mehr als 50 Teilnehmenden nicht mehr stattfinden. Damit ist die Durchführung von Mitgliederversammlungen in den meisten Vereinen und Verbänden Berlins vorerst nicht mehr möglich, da bei einer Mitgliederversammlung grundsätzlich mit dem Erscheinen aller Mitglieder gerechnet werden muss und die allermeisten Vereine und Verbände sicherlich mehr als 50 Mitglieder haben.

Aber auch ohne ein ausdrückliches Verbot der Durchführung von solchen Veranstaltungen ist aus rechtlichen Gründen zu erwägen, die Mitgliederversammlung vorerst nicht durchzuführen. Aufgrund des Mitgliedschaftsverhältnisses besteht zwischen dem Verein und den Mitgliedern eine Treuebindung. Sie erzeugt für den Verein Rücksichtnahmepflichten in Bezug auf die schützenswerten Belange der Mitglieder (Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 14. Aufl. 2018, Rn. 2-906). Natürlich ist die Gesundheit eines Mitglieds ein solch schützenswerter Belang. Aber auch die Freiheit des Mitglieds, die durch die Anordnung einer Quarantäne wegen des Kontakts mit infizierten Personen erfolgen könnte. Hier sollte die Absage der Mitgliederversammlung davon abhängig gemacht werden, wie viele Menschen zusammenkommen, ob diese Menschen besondere Risikofaktoren (z.B. Vorerkrankungen) haben, ob die Kontaktmöglichkeiten der Teilnehmer hoch und wie die räumlichen Gegebenheiten sind. Die Länge der Veranstaltung sollte ebenfalls beachtet werden.

Soll eine bereits einberufene Mitgliederversammlung aus irgendwelchen Gründen nicht stattfinden, so kann sie von demjenigen, der für die Einberufung zuständig ist, abgesagt werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist jedoch erforderlich, dass eine solche Absage auf alle Fälle eindeutig formuliert ist (Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 20. Aufl. 2016, Rn. 157).

Findet die Mitgliederversammlung wegen des Coronavrius nicht in den nächsten Monaten statt, so hat dies unterschiedliche rechtliche Auswirkungen auf den Verein oder Verband. Die konkreten Auswirkungen hängen der jeweiligen Satzung ab. Enthält die Satzung keinerlei Vorgabe für den Zeitraum im Jahr, in dem die Mitgliederversammlung durchzuführen ist (z. B. „findet jährlich statt“), dann ist die Verschiebung der Versammlung in die zweite Jahreshälfte als solche rechtlich unproblematisch. Schreibt die Satzung jedoch vor, dass die Mitgliederversammlung in dem nun von dem Coronavirus betroffenen Zeitraum durchgeführt werden muss (z. B. „im April des Jahres“), dann ist dies grundsätzlich einzuhalten. Doch wird der in der Satzung bestimmte Zeitraum aus irgendwelchen Gründen vom Einberufungsorgan nicht eingehalten, so wird man in aller Regel nicht annehmen dürfen, dass eine später einberufene Mitgliederversammlung keine gültigen Beschlüsse fassen könne (Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 20. Aufl. 2016, Rn. 174).

Eine andere Frage ist es, ob sich das Einberufungsorgan durch die Wahl eines satzungswidrigen Zeitpunktes für die Mitgliederversammlung schadensersatzpflichtig macht oder einen wichtigen Grund für seine Abberufung liefert. In beiden Fällen wäre jedoch zusätzlich ein Verschulden des Einberufungsorgans Voraussetzung. Bei der Nichtdurchführung einer Mitgliederversammlung wegen des Coronavirus aufgrund einer behördlichen Anweisung ist dies in keinem Fall und ansonsten in der Regel nicht gegeben. Denn die Nichtdurchführung der Versammlung dient dem Schutz der Mitglieder.


Fazit:

Sofern nicht die Satzung ausdrücklich die Durchführung einer virtuellen Mitgliederversammlung zulässt, müsste die Versammlung in Anwesenheit der Mitglieder an einem Ort durchgeführt werden. Dies ist in der aktuellen Situation nicht anzuraten. Welche Rechtsfolge die Nichtdurchführung der Mitgliederversammlung hat, hängt entscheidend von den Satzungsregelungen des einzelnen Vereins oder Verbands ab. Schwerwiegende Nachteile dürften für den Verein nur ausnahmsweise gegeben sein.


Stand: 16.03.2020


Veröffentlicht in:

Gartenfreund, Verbandszeitschrift für das Kleingartenwesen, Ausgabe April 2020, S. 18


*) Rechtsanwalt Patrick R. Nessler ist Inhaber der RKPN.de-Rechtsanwaltskanzlei Patrick R. Nessler, St. Ingbert. Er ist tätig auf den Gebieten des Vereins-, Verbands- und Gemeinnützigkeitsrechts, des Datenschutzrechts für Vereine und Verbände, sowie des Kleingartenrechts. Außerdem unterrichtet er als Rechtsdozent an verschiedenen Bildungseinrichtungen, u.a. an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement sowie der Führungsakademie des Deutschen Olympischen Sportbundes e.V. und für eine ganze Reihe von Organisationen.

Rechtsanwalt Nessler ist Justiziar des Landessportverbandes für das Saarland und ehrenamtlich tätig in verschiedenen Gremien des Deutschen Betriebssportverbandes. Seit 2004 ist er bereits dessen Generalsekretär. Darüber hinaus ist er der Fach-Experte für Rechtsfragen bei der Landesarbeitsgemeinschaft Pro Ehrenamt, Mitglied der Arbeitsgruppe Recht sowie des wissenschaftlichen Beirates des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde und Verbandsanwalt des Landesverbandes Saarland der Kleingärtner, Mitglied des Ausschusses „Recht und Satzung“ des Landessportbundes Berlin e.V. u.a.

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